S1 "Herz und Lunge"
Ein typisches Szenario aus dem ärztlichen Alltag:
Ein multimorbider Patient, der eine Vielzahl von Medikamenten einnimmt, stellt sich einem Arzt in der Sprechstunde mit akuten Beschwerden erstmalig vor. Im Gespräch mit dem Patienten erhebt der Arzt eine Arzneimittelanamnese sowie eine symptombezogene Anamnese. Nun soll dem Patienten seine Situation verständlich erklärt und mit ihm das weitere Vorgehen besprochen werden.
So wird es auch Ihnen „ergehen“…
…wenn Sie als Studierende im PJ-STArT-Block in diese Situation kommen. Die Ergebnisse aus diesem Erstgespräch fließen dann in eine Besprechung „unter Kollegen“ ein, in der Sie mit drei Kommilitonen die Problematik des Falls erörtern. Dabei unterstützt Sie ein Moderatoren-Team bei der Bearbeitung entscheidender Fragen: Welche Vorerkrankungen sind bekannt und müssen berücksichtigt werden? Woraus können die Symptome resultieren? Ist die bisherige Medikation leitliniengerecht? Müssen weitere Untersuchungen erfolgen? Sobald alle Fragen in der Gruppe geklärt sind, müssen Sie dem Patienten Ihre Erkenntnisse erläutern und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen. Im Anschluss daran erhalten Sie als Arzt ein Feedback durch den Simulationspatienten, die Kommilitonen und das Moderatoren-Team, wobei nicht nur fachliche sondern auch kommunikative Aspekte der beiden Arzt-Patienten-Kontakte berücksichtigt werden.
*bitte beachten Sie, dass wir um die Lesbarkeit zu erleichtern stets die männliche Form verwenden, auch wenn selbstverständlich Patientinnen, Ärztinnen, Studentinnen und Moderatorinnen gemeint sind.
Warum ist uns die Thematik wichtig?
Gegenwärtig treten bei ca. 5% der medikamentös behandelten Patienten unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auf. Bei 3–6% aller Patienten, die stationär aufgenommen werden, ist eine UAW Ursache für die Aufnahme, die vom aufnehmenden Arzt allerdings häufig nicht erkannt wird. Ungefähr 40% der UAW, die zu einer stationären Aufnahme führen, werden als vermeidbar eingestuft. Von stationär aufgenommenen Patienten erleiden ca. 6% eine neue UAW. Auf internistischen Stationen sind sogar bei über 20% der Patienten UAW beobachtet worden[1]. Nach einer deutschen Studie in einer internistischen Abteilung wurden durch UAW 20% der Behandlungstage verursacht. Ungefähr die Hälfte davon wäre nach Einschätzung der Autoren vermeidbar gewesen. In einer Metaanalyse[2] wurde geschätzt, dass 1994 in den USA 106.000 Patienten an den Folgen einer UAW starben. Dies entsprach der vierten bis sechsten Stelle in der Häufigkeitsstatistik der Todesursachen. Eine aktuelle prospektive Studie zu UAW als Grund stationärer Krankenhausaufnahmen kommt zu dem Ergebnis, dass in England dadurch kontinuierlich etwa 4% der Bettenkapazität beansprucht sind und Kosten von 706 Mio. Euro jährlich entstehen. In England wie auch in den USA sterben mehr Menschen durch UAW als im Straßenverkehr. Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist nach verschiedenen Studien und Hochrechnungen mit einer großen Zahl von Todesfällen, die durch Arzneimittel verursacht werden, zu rechnen. Auf der anderen Seite führt eine leitliniengerechte Therapie zur Senkung von Morbidität und Sterblichkeit von Patienten[3]. Dennoch werden Leitlinien zu selten in die Praxis umgesetzt, wie Daten aus Deutschland[4], Großbritannien[5] und den USA zeigen[6].
[1] Lagnaoui R, Moore N, Fach J et al., Eur J Clin Pharmacol 2000; 55: 181-6.
[2] Lazarou J, Pomeranz BH, Corey PN, JAMA 1998; 279: 1200-5.
[3] z.B. Micieli G, Cavallini A, Quaglini S et al., Stroke 2002; 33: 1341-7; Störk S, Hense HW, Zentgraf C et al., Eur J Heart Fail 2008; 10: 1236-45.
[4] Berthold HK, Gouni-Berhold I, Bestehorn K et al., Dtsch Arztebl 2007; 104: A 861-7.
[5] Steel N, Bachmann M, Maisey S et al., BMJ 2008; 337: a957.
[6] McGlynn EA, Asch SM, Adams J et al., N Engl J Med 2003; 348: 2635-45.
Unsere Lernziele:
- Der/die Studierende kann eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie bewerten und bedarfsgerecht und entsprechend geltender Leitlinien anpassen.
- Der/die Studierende kann unerwünschte Arzneimittelwirkungen erkennen, bewerten und ggf. vermeiden.
- Der/die Studierende kann Arzneimittel-Wechselwirkungen erkennen, bewerten, sie beheben oder vermeiden bzw. die Medikation anpassen.
- Der/die Studierende kann Dosierungsfehler erkennen, bewerten und korrigieren.
- Der/die Studierende verbindet fachliche und kommunikative Aspekte im Arzt- Patienten- Kontakt.
- Der/die Studierende geht auf Verunsicherung und Überforderung durch die vielen Medikamente erklärend ein und nimmt die Sorge, der Hausarzt könnte Fehler gemacht haben, ernst.
- Der/die Studierende geht mit dem eigenen Nichtwissen bzw. Bedarf an Zusatzwissen konstruktiv um.
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